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von heartbeat » 07.10.2015, 15:34
Liebe Galadria,
das freut mich sehr für Deine Großeltern, dass sie in einem schönen Bauernhof Aufnahme gefunden haben, und sicher gab es das auch verbreiteter als heutzutage, denn erstens gab es da viel mehr Selbstversorger und kleinere Bauernhöfe, zweitens waren viele der Großstädte zerbombt und mussten selbst erst wieder eine einigermaßen funktionierende Infrastruktur aufbauen.
Ich dagegen bin in der Nähe des Lagers Friedland (dem "Tor zur Freiheit") aufgewachsen, das seit 1945 mit seiner 1000-Betten Kapazität in Betrieb ist, zuweilen auch mit zusätzlichen Notbetten immer wieder mal überfüllt war und kenne bis heute etliche der Menschen persönlich, die dort als Flüchtlinge vorübergehende Aufnahme fanden. Es waren besonders nach dem Krieg auch viele unbegleitete Minderjährige oder Kinder darunter. Fast alle Kriegsflüchtlinge aus dem Osten mussten durch dieses Lager, blieben dort aber in der Regel nur kurz, um dann weiter verteilt zu werden, auch in Kinderheime. Die erlebten Traumata durch Bombardierungen und vielfach schlimmste Umstände der Flucht waren großenteils vergleichbar oder weitaus schlimmer, als das, was viele der zu uns jetzt Ziehenden erlebt (oder eben auch nicht erlebt) haben. Ich empfehle die Lektüre von Hans-Burkard Sumowski "Jetzt war ich ganz allein auf der Welt". (Das Buch ist persönlich, aber stellvertretend für unzählige andere Schicksale - und völlig unsentimental, ohne jegliches Selbstmitleid geschrieben. Ich habe es gerade meiner 16-jährigen Enkelin geschenkt.)
Viele unserer Eltern und Großeltern, die flüchten mussten (meine übrigens auch), haben die krassesten Erlebnisse gehabt und sind/waren davon schwer traumatisiert.
Mit einer dieser ehemaligen Friedland-Lager-Flüchtlings-Frauen, damals Jugendliche, bin ich heute noch befreundet. Sie ist inzwischen emeritierte Pfarrerin, und in dem Zeitraum zwischen Ende der 90er bis 2009, als ich sehr aktiv in allen Flüchtlings- und Asylbegleitungsfragen unterwegs war, bat ich sie einmal um Beratung zwecks evtl. möglicher gemeinschaftlicher Verbesserung einiger Zustände in einem der Asylheime in meiner heutigen Nähe (eine ehemalige Kaserne, in der fast dauerhaft zw. 500 und 600 Asylsuchende untergebracht waren - aktuell sind es noch mehr).
Sie erzählte mir daraufhin von den Umständen ihres eigenen (in ihrem Fall ungewöhnlich langen) Aufenthalts im Flüchtlingslager Friedland gleich nach dem Krieg und schilderte mir die Bedingungen.
Das Fazit dieser Gespräche:
a) Die Geflüchteten waren dankbar für alles, was sie bekamen und deshalb haben sie auch die widrigen Übergangsbedingungen wie räumliche Enge ohne Rückzugsmöglichkeit in Kauf genommen. Niemand kam auf die Idee, etwas zu fordern. Alle haben die Umstände als eine gemeinsame Notlage begriffen und so gut wie möglich gemeinsam zu meistern versucht.
b) Jeder hat mit angepackt und auch zurück gesteckt, damit dieses vorübergehende Lagerleben funktionieren konnte.
c) Jeder hat begriffen, dass der andere genauso unter den Zuständen leidet und nicht durch sein Benehmen den anderen noch zusätzliche Leiden obendrauf gepackt, indem er seine Ellenbogen ausgefahren hat.
d) "Unterhaltungs-" oder "Beschäftigungs"-Programme gab es selbstverständlich für die Flüchtlinge auch keine, aber es gab viel für die große, durch neu Ankommende ständig wechselnde Gemeinschaft zum Helfen und Mit-Anpacken.
e) Die anschließende Vermittlung in fremde Familien, darunter auch Bauernfamilien, bedeutete für die allermeisten harte, unentgeltliche Mitarbeit gegen Kost und Logis - und wenn alles besonders gut ging, fand/en der/die Flüchtling/e auch menschlich schönen Familienanschluss, bis Verwandte gefunden waren (das konnte ja manchmal Jahre dauern oder auch erfolglos bleiben). Aber nicht alle, die in fremde Familie vermittelt wurden, wurden dort auch glücklich bzw. nur gut behandelt.
Heute dagegen möchten (wünschen sich) oder wollen (etliche sehr fordernd!) die Zuziehenden fast ausschließlich in die Großstädte (es war mehrfach in der Presse zu lesen, dass die allermeisten nicht in ländliche Gegenden möchten).
Tja, da gibt es eben mangels anderer Möglichkeiten jetzt immer mehr nur die Großlager, die dann auch bereits in den allerersten Tagen und Wochen wieder "nicht recht" sind (klar, wissen wir, ist aber nicht zu ändern). Es dürfte doch schon auf dem Weg hierher den allermeisten klar sein (sie haben ja über Smartphone auch gewisse Informationsmöglichkeiten und bewegen sich auf ihrem Weg inmitten dieser Menschenmassen), dass solchen Massen nicht auf einen Schlag sofort und überall ein Komfortleben ohne Einschränkungen geboten werden kann. Dafür, dass es unvorbereitet so viele sind, finde ich alles immer noch ganz schön komfortabel und wirklich besorgt, bemüht und bewundernswert, wie sich hierzulande Menschen die Beine ausreißen, um alles, was möglich ist, auch möglich zu machen!
Große Hilfsbereitschaft (ohne Gegenleistung, also selbstlos) ganz fremden Menschen gegenüber (die nicht zum eigenen Clan gehören), ist ja eigentlich in vielen der Herkunftsländer weniger bekannt und solches Handeln löste öfter auch großes Erstaunen (und Dankbarkeit) aus.
Umso abstoßender finde ich manche Forderungsmentalität, mit der auch ich mich schon VOR dem ganzen Ansturm öfter konfrontiert sah. Das brauchte ich gar nicht erst in der Zeitung zu lesen.
Nein, ich möchte keine "Kniefälle" aus Dankbarkeit sehen für eine Pritsche im Massenlager.
(Aber ich finde auch nicht, dass alles, was manche gerne zu einem "Menschenrecht" - z. B. las ich da neulich etwas über W-Lan-Anschlüsse - erklären möchten, auch wirklich eines ist. Ich gönne den Menschen wirklich alles, damit sie sich nicht langweilen müssen, aber "Menschenrecht"???)
Ich finde, eine Nummer bescheidener und dankbarer geht es auch. Dann könnte eine Kooperation im Rahmen des Machbaren zum Wohle beider Seiten klappen.
Natürlich sehe ich auch das Problem des Unbeschäftigtseins, aber in einer solchen Situation geht es nun mal nicht ohne Geduld und Bereitschaft zu Einschränkungen - das sollte doch gerade jedem klar sein, der nun in solch einem Riesenlager auf den nächsten Schritt warten muss.
Jedenfalls trifft eines zu: je kleiner die Einheit (Asylheim oder Ort), desto größer sehe ich die Chance auf bessere Bedingungen und Handlebarkeit der Situation auf beiden Seiten, solange kein Ungleichgewicht zu Ungunsten der Ortsbevölkerung entsteht.
Mein Elan und mein Engagement hat jedenfalls viele Dämpfer bekommen. Zeitungen brauchte ich dafür keine einzige. Die lese ich erst jetzt - und sehe mich in vielen meiner leider auch sehr negativen Erfahrungen bestätigt.
Aber es liegt mir fern, anderen schon vor dem Helfen die Lust zu verderben. Jedes Leben ist anders, und jede/r möchte selbst Erfahrungen sammeln. "Pauschal" ist - in die eine wie die andere Richtung - immer falsch, aber wenn man damit eigene und fremde wiederholte bzw. mehrheitliche Erfahrungen bündelt, kann es manche Sachverhalte doch manchmal ganz richtig beschreiben.
Und in den Zeitungen, liebe Galadria, finden sich eben auch die Berichte von Menschen aus allen Gegenden und vielerlei Umständen (nicht nur die aus einer kleinen oder mittelgroßen Stadt), und ganz so falsch können die doch dann nicht sein.
@Strauss
Dir danke ich auch für Deine heute andernorts eingestellten, realistischen Berechnungen (in Zwoelfes Thread).
Bedenke: Nicht zu bekommen, was man will, ist manchmal ein großer Glücksfall! Dalai Lama