Ein Traum von einem Mann

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Arche Noah
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Ein Traum von einem Mann

Beitrag von Arche Noah » 17.09.2008, 20:12

Ein Traum von einem Mann
Von Edith Kresta | © DIE ZEIT, 38/2001

Frauen, die der Liebe wegen an ferne Strände reisen, gelten als Sextouristinnen.
Doch ihre Lust segelt unter romantischer Flagge, Heirat nicht ausgeschlossen.


Ein Report aus Tunesien

Kennen Sie mich nicht?, fragt der junge Mann in Jeans, blau-rotem Plastik-Shirt und Badelatschen im Zentrum Hammamets.
Ich arbeite doch als Kellner in Ihrem Hotel.
Mag sein, dass er in schwarzer Hose, dezenten Schuhen und weißem Hemd anders, vielleicht auch vertrauenerweckender aussieht als in schnittiger Freizeitkluft.
Spätestens jedoch nach dem fünften Versuch eines Unbekannten, auf diese Art Kontakt zu knüpfen, ist klar: Die vermeintlichen Bekannten wollen Touristen Souvenirs aufschwatzen, einfach nur ins Gespräch kommen oder oft ganz zielgerichtet mit einer Frau anbandeln.

Hammamet ist neben Sousse und Monastir die touristische Hochburg Tunesiens.

Mit langen Stränden und einer überschaubaren Medina direkt am Meer.

Trotz der riesigen Hotelanlagen, wo die Strandcharmeure flanieren, ist Hammamet ein beschauliches Nest geblieben.
Touristische Freizone mit deutscher Brauerei und bevorzugter Ferienort der tunesischen Mittel- und Oberschicht: offen, freizügig, europäisch mit orientalischer Kulisse.
Hammamet ist der liberale Vorort von Tunis, sagt Lamia.
Anders als in Tunis kann man hier ungestört in Shorts durch die Straßen laufen.
Die Versicherungsexpertin aus Tunis - Mitte 30, unverheiratet, eine selbstständige, moderne Frau - verbringt hier viele Wochenenden mit Freunden, zu denen auch Raouf gehört.

Professionelle Anmache

Roter Plüsch und warme Brauntöne.
Hier schneidet der Chef noch selbst. Raouf kennt sich aus in Hammamet, wo man französische Modeschöpfer und Starlets neben dauerurlaubenden deutschen Rentnern und Kleinfamilien in den Sommerferien trifft.
Und er kennt viele Geschichten, die von Strandcasanovas handeln und einsamen Touristinnen, die besonders gern an Tunesiens Küsten reisen.

Zum Beispiel die der 60-jährigen Deutschen und ihres viel jüngeren tunesischen Liebhabers, den sie mit nach Berlin nahm und heiratete.
Eine Story ohne Happy End: Der schöne 20-Jährige wurde schnell flügge, erzählt Raouf, und ging nach dramatischer Trennung seine eigenen Wege.

Raoufs Herzgeschichten gehören zum Urlaubsalltag - nicht nur in Tunesien.
Ob in Kenia oder auf Jamaika, im Senegal, in der Türkei oder auf Kuba: in Diskotheken und Bars südländischer Urlaubsländer, meist Männergesellschaften mit großem ökonomischen und sozialen Gefälle, funktioniert die Anmache zwischen einheimischem Mann und ausländischer Frau glänzend und oft professionell.
Der Südmann lockt. Die Zahlen sprechen für sich: Allein 1500 deutsche Frauen informieren sich jedes Jahr in der Botschaft in Tunis über die Formalitäten von Ausreise und Eheschließung mit einem tunesischen Partner.
Manche Paare verwirklichen ihren Traum vom gemeinsamen Leben an den Gestaden des Mittelmeers,
bei den meisten besteht jedoch der Wunsch, in Deutschland zu heiraten und zu leben.

Der planmäßige Kontakt mit Touristinnen gehört längst zum Urlaubsalltag. Mag es manchmal auch Liebe sein, ein harmloser Flirt, ein sexuelles Abenteuer, oft steckt hinter der inbrünstigen Verführung der Männer ein ökonomisches Motiv: die Suche nach einem gehobeneren Lebensstil oder der Traum von einer besseren Perspektive im reicheren Land.

Die wenigen Studien zum Thema nehmen die Frauen keineswegs aus. Sextouristen sind alle Reisenden, die in den Zielländern der Dritten Welt materiell belohnte, sexuelle Kontakte mit einheimischen Partnern haben, stellt eine empirische Studie zum Thema Aids, Sex, Tourismus des Bundesministeriums für Gesundheit fest.
Wenn auch bislang vor allem der Mann als Sextourist im Blickpunkt steht. Sexuelle Kontakte, bei denen sich das männliche Objekt der Begierde aus ökonomischen Gründen prostituiert, sind in vielen Ländern an der Tagesordnung.

Der tunesische Film Bezzness (vom englischen business abgeleitet) setzte sich in den neunziger Jahren kritisch mit der Prostitutionskarriere eines jungen Tunesiers auseinander. Der Film thematisierte die moralische Empörung über Werteverfall und Entwurzelung in der tunesischen Gesellschaft.

Rasierwasser als Liebeslohn

Heute ist bezzness in Tunesien zum geflügelten Wort dieser Art der Begegnung geworden. Man hat sich an die Strandanmache genauso gewöhnt wie an kurze Hosen und Badelatschen im Restaurant.
Und trotz Verstoßes gegen das kulturelle Wertgefüge bleibt die männliche Nutte zu Hause der Patriarch.
Mehr noch: Er gilt unter seinesgleichen als potent, als ganzer Mann.
Der bezahlte Sex kratzt kaum am männlichen Selbstbild, er wird toleriert. Ungestraft darf der Mann seine Sexualität ausleben, auch wenn er sich dafür bezahlen lässt.

Sogar für die moderne tunesische Frau wäre es undenkbar, sich ähnlich zu verhalten.

Vom Papagallo der sechziger Jahre an der Adria über den jamaikanischen Beach-Boy zum tunesischen Strandadonis - das Reservoir der männlichen Gespielen im globalen Tourismusgeschäft kam und kommt fast immer aus der Unterschicht.
Es findet ein unausgesprochener Austausch statt zwischen Arm und Reich. Die jugendlichen Strandcharmeure wollen vom Reichtum der Nordländerinnen profitieren, indem sie ihren Körper auf den Markt tragen.

Das hat das tunesische Bezzness mit der weiblichen Prostitution in Thailand gemein.
Allerdings funktioniert sowohl die Begegnung als auch die materielle Belohnung der männlichen Prostituierten anders.

Die Frauen selbst zählen ihre Affäre ohnehin nicht zur Kategorie Sextourismus.
Die Lust der Urlauberin segelt unter romantischer Flagge. Sie freit, indem sie sich freien lässt.
Die Frau bezahlt den Mann selten in barer Münze, so wie es bei Liebesdamen seitens der Männer üblich ist.
Sie schenkt ihm Parfüm und Kleidung, lädt ihn zum Essen ein, nimmt ihn ein paar Tage mit auf den Trip durch Tunesien oder finanziert ihm den Flug in den saturierten Norden.
Ihre Bezahlung spielt sich verschämt ab, für sie ist es ein Liebesdienst. Auch wenn unter der Hand an der Hotelrezeption schon mal männliche Begleiter für eine Woche angeboten werden, die Regel lautet: Frauen wollen vom professionellen Liebhaber nichts wissen.
Und wenn sie doch einmal an ihn geraten sollten, dann glauben sie seinen Liebesschwüren nur zu gern.

Die so genannten Sextouristinnen bewegen sich in einer Grauzone von Anmache und Anziehung, sexueller Ausbeutung, Gefühl und Helfersyndrom.

Da ist zum Beispiel Assiz. Mit seinen streng nach hinten gekämmten schwarzen Haaren, dem muskulösen, braun gebrannten Körper und dem römisch-griechischen Profil sieht er klasse aus.
Seit Tagen umschwirrt er Claudia, die 39-jährige Krankenschwester aus Berlin, mit ausgesuchter Höflichkeit, kleinen Aufmerksamkeiten und unmerklichen Berührungen.
Es spielt keine Rolle, dass sie sich nur in gebrochenem Französisch unterhalten können. Habibi, Liebling, hat er ihr schon auf Arabisch beigebracht und in der Disko die ersten Bauchtanzschritte mit ihr eingeübt.
Ich fühle mich ungemein weiblich mit ihm, gesteht die strahlende Claudia abends an der Hotelbar. Sie findet ihn wahnsinnig charmant, jungenhaft und anziehend.

Mit dem männlich-herben Duft von Assiz' teurem Duftwasser zieht der Frühling in Claudias Herz ein. Auch wenn das Eau de Toilette möglicherweise ein Geschenk von Renate ist.
Denn Assiz, der Hotelanimateur aus Kairouan, umgarnte Renate aus Wuppertal zwei Wochen zuvor genauso charmant wie jetzt Claudia.
Doch das muss die Krankenschwester aus Berlin nicht unbedingt wissen. Liebe macht ohnehin blind.

Strandjünglinge wie Assiz ziehen alle Register der Verführung.
Ihr Handwerkszeug ist Einfühlungsvermögen und viel Gespür für die Wünsche der Touristin.
Doch diese schlichten Liebesanbieter, auf der Suche nach einem angenehmen Nebenverdienst, vielleicht auch einer Perspektive in Deutschland, haben wenig gemein mit der aggressiven Prostitutionsindustrie für männliche Touristen:
Weiblichem Sextourismus fehlt die organisierte Eindeutigkeit und Eindimensionalität männlicher Sexausflüge nach Pattaya oder auf die Philippinen.
Die Frau ist allenfalls romantisch verbrämte Lusttäterin, die sich ihren Prinzen, dank des modernen Tourismus, nun weltweit sucht.
Bei dieser Begegnung verknüpfen sich emotionale Bedürfnisse der Frauen auf ganz eigene Weise mit ökonomischen Bedürfnissen der Männer.

Assiz, der Schlüssel zum Paradies

Hier wollen doch alle weg, erzählt Mabrouk und schlürft an seinem frisch gepressten Erdbeersaft.
Manchmal treffen sich Lamia und ihre Freunde im Café Canari. Bei einem Durchschnittseinkommen von etwa 300 Dinar (rund 500 Mark) gibt es kaum eine Perspektive.
Alle leben auf Kredit, außer natürlich ein paar Reiche, erzählt Mabrouk weiter. Majid legt die Finger auf die Lippen: Psst, Spitzel. Er zeigt zwei Tische weiter.
Das Polizeiaufkommen hat sich unter Präsident Ben Ali vervierfacht, fährt Mabrouk, der Intellektuelle in der Clique, ungerührt fort. Hier kann man in der Öffentlichkeit nicht offen reden.
Die sechs Freunde am Tisch erzählen dennoch von der Schwierigkeit, eine Familie zu gründen, weil kein Geld da ist, von der Repression durch die Politik, die im Kampf gegen den Islamismus und zum eigenen Machterhalt jede Opposition im Keim erstickt.

Viele Männer wollen eine Touristin zwischen 35 und 59 kennen lernen. Zwecks Heirat und einer Zukunft in einem anderen Land, meint Ali. Warum auch nicht? Sieht man den jungen Ali, wundert man sich über das fortgeschrittene Alter des begehrten Frauentyps.
Doch Ali stellt klar: In diesem Alter sind die Frauen auf jeden Fall unabhängig und frei vom Elternhaus.
Und damit womöglich offen für eine Liebe auf der anderen Seite des Mittelmeers.

Übereilte Lebensgemeinschaften

Auf die Ferne ist viel Sehnsucht gerichtet.
Sie repräsentiert das Andere, das sich der Einverleibung ins eigene Leben widersetzt.
Die Fremde ist aber auch immer das eigene Fremde, das in der fremden Fremde aus dem Tiefschlaf erwacht.
Ein erregender, hocherotisierender Prozess, schreibt der Freizeitforscher August Krümpelmann. Jahrhundertelang hat der Reiz des Anderen die Männer um den Globus getrieben.
Längst lassen sich auch Frauen davon locken - und manchmal verfallen sie der Erotik des Reisens ganz.
Wie sonst könnten sie sich das Fremde besser einverleiben als durch die Beziehung zu einem Mann, der das Andere verkörpert? Frauen sind geneigt, mit dem unbekannten Land, dem unbekannten Liebsten zu verschmelzen.
Frauen machen ihre Grenzerfahrung auf den Klippen der Seele, Männer steigen auf den Himalaya.

Und viele Touristinnen sind dabei nur allzu bereit, ihre eigene Kultur hinter sich zu lassen.
Davon zeugt auch der große Erfolg von Büchern wie Corinne Hofmanns Die weiße Massai, in denen Autorinnen ihre interkulturellen Beziehungskisten öffnen.
In der Literatur und im Urlaubsalltag passen die Obsessionen vom fremden Mann häufig wunderbar in unser romantisch-verkitschtes Bild der Geschlechterbeziehungen.
Es ist die ewige, alte Geschichte vom Prinzen, der der Geliebten sein sagenhaftes Königreich zu Füßen legt.
Völlige Hingabe wird bei diesem Konzert der Gefühle oft mit weiblicher Erfüllung gleichgesetzt. Auch Claudia, die Krankenschwester aus Berlin, träumt schon vom Leben unter Palmen, das sie gern gegen den aufreibenden Job in der Charité eintauschen würde. Assiz, der Strandcharmeur, ist ihr Schlüssel zum Paradies.

Gerade lebenserfahrene Frauen in den mittleren Jahren mit einer gesicherten materiellen Existenz sind bereit, noch einmal alles zu verändern und auf eine Karte zu setzen, weiß Renate Fisseler-Skandarani vom Verein deutscher Frauen in Tunesien.
Dabei scheinen sie die fremde Realität oft auszublenden. Doch diese ist nüchterner. Auf beiden Seiten. Denn auch die Männer, die nach Deutschland übersiedeln, haben Bilder und Projektionen im Kopf.
Doch wirkliche Annäherung und das Sicheinlassen auf die fremde Kultur erfordern Anstrengung und bedeuten Arbeit.
Das kann einem auch der verliebteste Partner nicht abnehmen, sagt Fisseler-Skandarani. Sie kennt viele Erzählungen von gescheiterten Urlaubslieben, aber auch von geglückten Beziehungen.
Ein großes Problem ist, dass diese Urlaubslieben ja gezwungen sind zu heiraten. Sonst können sie aufgrund des Ausländerrechts nicht zusammenleben, weder in Deutschland noch in Tunesien.

Ja, das muss doch Liebe sein. Denn ausprobiert und gelebt werden kann eine Beziehung unter blauem Himmel und Palmen erst nach der Heirat.

So wird ein heißer Urlaubsflirt schnell zur übereilten, romantisch überzogenen Lebensgemeinschaft, in der von den ursprünglichen Gefühlen oft nichts mehr bleibt.
Lamia, die hübsche, selbstbewusste Tunesierin, die gar nicht ins Klischee der unterdrückten, ins Haus verbannten Frau passen will, steht solchen Liebesgeschichten ohnehin skeptisch gegenüber.
Alles Heuchler, sagt sie, wenn es um die Strandcasanovas geht.
Und die wissen, dass sie mit ihrer Tour bei Lamia nicht landen können: Sie laufen sowieso erst bei hellhäutigen Blondinen, denen sie was vormachen können, zu Hochform auf.
Gemeinsam sind wir stark!

romance8
Beiträge: 521
Registriert: 29.03.2008, 12:35

Beitrag von romance8 » 20.09.2008, 15:49

Wirklich liebe Arche, welch ein Traum von einem Mann... und vor allem so ehrlich..... :twisted:

lg
romance8

hulla
Beiträge: 1603
Registriert: 01.05.2008, 14:15

Beitrag von hulla » 21.09.2008, 18:42

sehr deutlich

hoffentlich lesen und kapieren!!!! es viele

grüßle, hulla

Kiki
Beiträge: 334
Registriert: 11.05.2008, 09:35

Beitrag von Kiki » 24.09.2008, 22:09

Sehr gut beschrieben!
Urlaubsromanzen sind allgemein mit Vorsicht zu genießen. Das Sommer-Sonne-Strand-Gefühl, auf dem die meisten dieser Beziehungen basieren, lässt sich nun einmal nicht in den Alltag übertragen. Man verhält sich anders, fühlt anders... Später kommt dann das böse Erwachen, weil der Traumprinz aus 1001 Nacht eben nur in seiner natürlichen Umgebung im sonnigen Süden und unter dem Einfluss von Urlaubstimmung ein Traumprinz ist. Im Alltag - noch dazu im kalten Deutschland - verblasst er (selbst wenn es kein Bezzi sein sollte) sehr schnell zu einem normalen Mann, der genauso seine Bartstoppeln im Waschbecken lässt und seine schmutzige Wäsche nicht aufräumt :roll:. Dazu kommen noch Eingewöhnungsschwierigkeiten, kulturelle Unterschiede und womöglich Geldprobleme. Da ist der Traum dann sehr schnell ausgeträumt!

Ich hatte vor ein paar Jahren auch mal so eine Phase, von wegen wie traumhaft es wäre, in der Heimat meines Mannes zu leben... In den wunderschönen Bergen Kurdistans, umgeben von lieben Angehörigen und freundlichen Menschen. Ich kannte die Gegend nur aus dem Urlaub, wo man leicht über die alltäglichen Probleme, die Armut, die harte Arbeit, die Unmöglichkeit eine anständige Schule für die Kinder zu finden, die PKK-Parolen an jeder Ecke, die kaum vorhandene Infrastruktur und alle anderen Probleme hinwegsehen kann. Zum Glück hat es sich nie ergeben, dort zu leben! Heute würde ich es bitter bereuen - das weiß ich!


LG Kiki
Wir sind nicht auf der Welt, um so zu sein, wie andere uns haben möchten.

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