nur so interessehalber

Erfahrungen mit Flüchtlingen und Migranten zum Thema Bezness

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Efendi II
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Efendi II » 24.05.2019, 18:33

Fierrabras hat geschrieben:
24.05.2019, 17:57
Daher soll die Erwähnung einer guten Sache das Team daran erinnern, dass der Mensch hinter der Krankheit zumeist nett ist oder zumindest seine netten Seiten hat.
Natürlich hat jeder Mensch auch gute Seiten.
Hitler war Nichtraucher, Alkoholgegner, Vegetarier und sein Tierschutzgesetz
war zu dieser Zeit das fortschrittlichste weltweit. Den 1.Mai hat er auch zum
Feiertag gemacht und ein beispielgebendes Mutterschutzgesetz eingeführt.
Da müsste er doch eigentlich ein guter Mensch gewesen sein, auch wenn er
so ganz nebenbei für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich war?
Toleranz ist die letzte Tugend einer untergehenden Gesellschaft.
- Aristoteles -

Justicia

Re: nur so interessehalber

Beitrag von Justicia » 25.05.2019, 07:00

Liebe Fierrabras,

ich fühle mit dir, weil ich fast jedes Wort über eure "Zusammenarbeit im Team" nachvollziehen kann.

Dieses wohlwollende, gutheißende Perspektive gibt es bei uns auch. Bei Kindern hieß das bei uns "kindorientiert", was sogar Sinn macht. Meine Erfahrung ist, dem Kind das Positive vor Augen zu führen und zu stärken, sodass das Defitzite gleichzeitig abgebaut werden können. Wobei man natürlich den Begriff "Defizit" auch nicht nutzen darf, sondern eher "Herausforderungen", "Chancen" oder am besten "Entwicklungspotenzial".
In der Arbeit mit Erwachsenen heißt es dann eher "ressourcenorientiert": Was kann der Mensch, was ihm jetzt zu Nutze kommt? Dabei wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch eine besondere Gabe, ein Talent hat.

Habe ich auch dran geglaubt, dann kam die Praxis. Selbstverständlich schlage ich mich konkret mit anderen Problemen (dieses Wort darf man auch nicht mehr nutzen) herum, aber das Nicht-Ansprechen-Dürfen ist systematisch. Fast zwei Jahre bewältige ich das nun schon, aktuell eher weniger als mehr. Es ist unfassbar, dass es DAS ist, was meine Arbeit so schwer macht.
Im Studium wurde kein Wort darüber verloren, keinerlei Vorbereitung. Mittlerweile könnte ich einen Übersetzungduden "Wahrheit - besser klingende Begriffe / besser klingende Begriffe - Wahrheit" verfassen.

In meiner Muttersprache stelle ich dieses Phänomen übrigens gar nicht fest. Hier muss ich keine neuen Wörter finden, die die gleiche Bedeutung haben, aber einfach netter anzuhören sind. Auch wenn ich muttersprachliche, wissenschaftliche Texte lese, werden Zusammenhänge deutlicher ausgedrückt als ich es derzeit in wissenschaftlichen (!) Texten in deutscher Sprache wahrnehme.

Lieber Effendi,

dein Argument habe ich auch schon gebracht. Eine Abmahnung konnte ich gerade so noch verhindern. Mir fehlt leider der Mut und die Gelassenheit. Vielleicht bin ich zu jung, zu unerfahren und sehr wahrscheinlich passt mein Arbeitsplatz nicht zu mir. Insgesamt sehr unbefriedigend. Aber was soll die Alternative sein? Alle rauszukriegen, die auch andere Sichtweisen vertreten bedeutet am Ende auch, dass Forschung nur noch von Menschen gemacht wird, die das sehen, was von der Politik gesehen werden will.
Ich beziehe mich dabei nur auf mein Tätigkeitsfeld. In den Naturwissenschaften läuft das zum Glück anders.

Vielleicht habt ihr da eine Empfehlung für mich, damit umzugehen? Sich mit anderen zusammen zu schließen, die hinter vorgehaltener Hand ähnlich wie ich leiden, ist leider keine Option. Das habe ich mehrfach versucht.

Eclipse
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Eclipse » 25.05.2019, 07:14

Herzlichen Dank über die Einblicke in Dein Berufsbild, liebe Fierrabras.
Fierrabras hat geschrieben:
24.05.2019, 17:57

Daher soll die Erwähnung einer guten Sache das Team daran erinnern, dass der Mensch hinter der Krankheit zumeist nett ist oder zumindest seine netten Seiten hat.
Man sollte unbedingt in Erwägung ziehen, dass der "Mensch hinter der Krankheit" genauso mies sein könnte wie auch gesunde Menschen mies sein können.

Die Feststellung der Miesigkeit hat aber NICHTS mit der politischen Einstellung zu tun, und in dieser Hinsicht zeugt die harsche Reaktion Deiner Vorgesetzten von mindestens Überforderung, wenn nicht gar Unprofessionalität. Es gibt nun einmal abgründig niederträchtige Personen.

Ich habe vorhin von einer Studie/Umfrage gelesen, dass ein bedrückend hoher Prozentsatz der deutschen Bevölkerung sich nicht traut, öffentlich ihre Meinung über Migranten zu sagen. Dieser Prozentsatz war jedenfalls deutlichst höher als die Wahlergebnisse der AfD, der Union, der FDP und der "Sonstigen" zusammen.
das Nicht-Ansprechen-Dürfen ist systematisch
Das ist ebenfalls "krank" bzw. krankmachend. Oder ... wütendmachend.

Grampusgriseus
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Grampusgriseus » 25.05.2019, 08:06

@ Julija:
Aber selbstverständlich gibt es dafür einen Schwarzmarkt! In Berlin kannst Du quasi hinter jedem etwas größeren Busch nahezu ALLES kaufen.
An Deinem geplanten "Duden" zur Übersetzung von Realität zu "ressourcenorientiert klingenden" Begriffen habe ich großes Interesse. Vermutlich arbeiten wir in ähnlichen Bereichen. Wann wirst du das Ding fertig haben? Ich brauche es dringend! :mrgreen:

@ Fierrabras:
Man, man, Hut ab! Ich glaube, ich hätte an Deiner Stelle schon das Handtuch geworfen. Im Rahmen der Hilfeplanung ringe ich auch ständig um positive Formulierungen...aber so einfallsreich wie Du bin ich da leider keineswegs...vielleicht kannst Du auch einen kleinen Ratgeber veröffentlichen? So etwas wie "Floskeln für den täglichen Bedarf im sozialen Bereich" oder so? Das Ding findet sicher reißenden Absatz. Vielleicht kannst Du damit dann sogar Deinen Lebensunterhalt verdienen und diesen nervtötenden Job an den Nagel hängen?

Liebe Grüße
Grampusgriseus

karima66
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von karima66 » 25.05.2019, 10:19

Hab grad leider nicht so die Zeit zum schreiben, aber hierzu kurz doch, weil ich es so gut nachvollziehen kann, weiss wie es euch geht und vor allem Julijas Zeilen mich berührt haben, neulich auch schon mal ....
Julija, du fragst was man tun kann, wie sich verhalten, was hilft......ich habs lange mit Humor versucht, hab viel runter geschluckt, mich bemüht die Klappe zu halten was wenn man mich kennt mir super schwer fiel, habs dann unter Gleichgesinnten nur rausgelassen und trotzdem hat es mich krank gemacht, immer mehr.....und dann kam vor drei Jahren der Punkt wo mir meine Gesundheit, auch meine seelische, wichtiger wurde als die Arbeit im sozialen Bereich und wenn ich heute euch lese, meine Schwägerin und einen guten Freund, meine ehemaligen Kollegen höre die alle sich so weiter durch kämpfen und wenn ich bedenke wie viel Lebenszeit das kostet, wie viel Energie.....ich bin froh und bereue es nicht die Reißleine gezogen zu haben.
Ich habe nach vielen Jahren, vielen Erfahrungen im zwischenmenschlichen Bereich und da waren die schlimmsten Erlebnisse nicht mit den psychisch Kranken, sondern mit Kollegen und Vorgesetzten, aufgegeben um meinetwillen.
Heute mache ich was ganz Banales als Nebenjob und unterstütze ansonsten meinen Mann in seiner Firma, ich verdiene nur ein Bruchteil dessen was ich früher hatte, aber ich hab den Kopf frei, bin entspannter und hab wieder Zeit und vor allem Freude für / an Familie, Freunde und die schönen Seiten des Lebens, vor allem sind alle Krankheitssymptome weg die mich vorher plagten.....
Muss jeder für sich sehen wo man welche Prioritäten setzt.....wenn Gesundheit und Privatleben richtig leiden unter der Arbeit dann ist es für mich keine Frage was tun auch wenns die finanzielle Sicherheit kostet....

Nilka
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Nilka » 25.05.2019, 11:01

Ihr sei wirklich nicht zu beneiden!
Es tut mir in der Seele weh, das zu lesen.
Wie ein roter Faden zieht sich das knebeln der Sprache durch die Politik, was abfärbt auf alle gesellschaftliche Bereiche.
Julija hat geschrieben:
25.05.2019, 07:00

Habe ich auch dran geglaubt, dann kam die Praxis. Selbstverständlich schlage ich mich konkret mit anderen Problemen (dieses Wort darf man auch nicht mehr nutzen) herum, aber das Nicht-Ansprechen-Dürfen ist systematisch. Fast zwei Jahre bewältige ich das nun schon, aktuell eher weniger als mehr. Es ist unfassbar, dass es DAS ist, was meine Arbeit so schwer macht.
Im Studium wurde kein Wort darüber verloren, keinerlei Vorbereitung. Mittlerweile könnte ich einen Übersetzungduden "Wahrheit - besser klingende Begriffe / besser klingende Begriffe - Wahrheit" verfassen.
Unendlich traurig :(
Julija hat geschrieben:
25.05.2019, 07:00
Vielleicht habt ihr da eine Empfehlung für mich, damit umzugehen? Sich mit anderen zusammen zu schließen, die hinter vorgehaltener Hand ähnlich wie ich leiden, ist leider keine Option. Das habe ich mehrfach versucht.
Vielleicht geht es eine Zeitlang mit Humor, wie bei karima.
Ich wünschte, ich hätte einen besseren Vorschlag.
LG ♥ Nilka

Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt. Thomas Mann

Justicia

Re: nur so interessehalber

Beitrag von Justicia » 27.05.2019, 07:33

Ihr Lieben,

vielen Dank für eure Rückmeldungen.
Es ist auf der einen Seite traurig, dass wir uns überhaupt darüber austauschen müssen, aber der anderen Seite fühle ich mich auch sehr verstanden. Das macht mir Mut. Vielen Dank dafür!

Seit einigen Wochen sortiere ich meine Optionen und komme immer mal wieder einen kleinen Schritt weiter. Ich freue mich auf den Moment, in dem ich im Schöne-Dinge-Thread meine Entwicklung bzw. meine diesbezügliche Entscheidung mitteilen kann.
Grob kann ich jetzt schon sagen, dass ich in den letzten Monaten immer mehr bestärkt wurde, meine aktuelle Arbeits-Situation zu verändern, d. h. im Klartext zu verlassen.

Ich bin 32 Jahre alt - und ich kann nicht mehr! Weder körperlich, noch mental. Mit Anfang 30 sich zu fühlen als hätte man ein ganzes Arbeitsleben hinter sich, zeigt dass ich entweder ungeeignet für den Beruf bin oder die weit schmerzhaftere Alternative, mein Berufsfeld ist für Menschen wie mich ungeeignet. Hinterfragen, Reflektieren, Zusammenhänge erkennen und benennen, analytisches Vorgehen... alles Kernkompetenzen, die zwar gefordert werden, aber bei Bedarf bitte stillschweigend abzustellen sind.

Ich habe es versucht mit Humor zu nehmen. Ich habe es wirklich versucht, doch es geht nicht. Wenn eine 45jährige gestandene Frau (Führungsposition, zwei erwachsene, erfolgereiche Kinder, mit denen sie aber keinen Kontakt hat wegen ihrem nordafrikanischen Ehemannes, der jünger als die Kinder ist) offenbart, dass sie in der Ehe psychische wie physische Gewalt erlebt und das relativiert mit [Zitat]: "Aber er ist ja so aufgewachsen. Er kennt das nicht anders. Er braucht Zeit um sich umzugewöhnen.", dann kann ich daraus keinen Humor ableiten.
Alleine damit könnte ich sogar umgehen (Stichwort: Professionalität), aber ich kann es nicht mehr ertragen, dass mir dann in einer Teamsitzung nahe gelegt wird (eine nettere Umschreibung für: Du machst das jetzt so), diese Sequenz unter "Kulturelle Unterschiede" zu kodieren. Nur für euch als Relation, wofür diese Kategorie sonst noch heran gezogen wird: Aufteilung (haha) der Hausarbeit, Zubereitung von Mahlzeiten, Freizeitaktivitäten, Tagesablauf und ähnliches.

Ich hätte gerne eine Kategorie "Gewalt", aber damit würde ich angeblich meine persönliche Brille überstülpen und sei nicht mehr offen für familiäre Systeme, sodass am Ende die Forschungsergebnisse verfälscht wären. Gut, darüber lässt sich wirklich lachen, sofern man ausblendet, wie viele Ressourcen, vor allem eure Steuergelder, in diese Arbeit fließen.
Ich frage mich auch, warum ich Jahre in der Wissenschaft verbringe, wenn am Ende klar ist, was mein Arbeitgeber gerne lesen möchte. Das hätte ich schon in Woche 1 schreiben können. Oder er hätte einen Ghostwriter beauftragen können.

Das führt mich wieder zum nächsten Punkt, der mich mehr als frustiert: Ich schenke wissenschaftlichen Artikeln kaum noch Glauben. Es liest sich sehr gut. Man könnte denken, dass alles sehr fundiert ist, jahrelange wissenschaftliche Arbeit dahinter stecken. Aber wenn diese Abfassungen genauso "produziert" wurden, wie von mir verlangt wird, kann ich genauso gut auch einen trivialen Roman lesen. Das ist natürlich nur eine etwas längere Momentaufnahme. Vielleicht ist es auch ganz anders und ich bin unfähig, das zu erkennen.

Bitte verzeiht mir für diesen Ausbruch. Das soll es auch erst mal gewesen sein. Nochmal Danke für eurer Ohr.
Ich möchte auch nochmal sagen, dass es auch andere binationale Paare gibt, bei denen ich davon überzeugt bin, dass sie gut funktionieren. Ich beschäftige mich ja hauptsächlichen mit Konflikten in binationalen Partnerschaften und dem Angebot solche zu beraten. Es gibt Paare, die Konflikte sehr gut bewältigen können. Diese sind aber leider in der Minderzahl. An die wirklich "Harten" kommen wir auch gar nicht ran, weil diese sich nicht für eine Forschung zu Verfügung stellen. Das darf man aber auf gar keinen Fall benennen und schon gar nicht veröffentlichen.

Heute werde ich mir, ich glaube die fünfte, AU-Bescheinigung geben lassen. Derzeit ist das meine Strategie, den Kopf klarer zu bekommen und insbesondere meinen Körper wieder genesen zu lassen. Es gibt ja diese Floskeln "Etwas schlägt mir auf den Magen" und "Es geht mir an die Nieren". Ich bin das Paradebeispiel dafür, dass diese Vorhersagen tatsächlich stimmen.

Vielen Dank, dass ich diesen Thread für meine Probleme nutzen darf, obwohl mein Thema nur an dem Thema des Bezness schrammt.

Cimmone
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Cimmone » 27.05.2019, 08:06

Liebe Julija,

Es ist traurig, wie Arbeitgeber - Systeme ihre Leute vor die Hunde gehen lassen, weil die eigene Sichtweisen ein anderes Denken nicht zulassen.
Ich hatte auch mal eine Vorgesetzte, die nur ihre Sicht als "richtig" anerkannt hat.
Eine Zeitlang kann man das mit Galgenhumor überbrücken, doch letztendlich bleibt dann nur, den Hut zu nehmen und sich ein anderes Betätigungsfeld zu suchen.
Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und Klarheit, um Deinen Weg neu sortiert mit Freude zu beschreiten.
"Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht." Kurt Tucholsky

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Anaba
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Anaba » 27.05.2019, 09:37

Guten Morgen Julija,
Heute werde ich mir, ich glaube die fünfte, AU-Bescheinigung geben lassen. Derzeit ist das meine Strategie, den Kopf klarer zu bekommen und insbesondere meinen Körper wieder genesen zu lassen. Es gibt ja diese Floskeln "Etwas schlägt mir auf den Magen" und "Es geht mir an die Nieren". Ich bin das Paradebeispiel dafür, dass diese Vorhersagen tatsächlich stimmen.
Dein Körper wird weiter reagieren und du wirst richtig krank werden.
Der erste Schritt in die m.M.n. richtige Richtung ist die Krankschreibung.
Ruh dich aus, sortiere dich und finde raus, was du wirklich möchtest.
Letztendlich wird dir wohl nur ein Wechsel helfen, um langfristig deine Ruhe zu finden.
Karima hat das gut beschrieben.
Du bist noch so jung und hast viele Arbeitsjahre vor dir.
Willst du die so verbringen? Immer unter Druck stehen?
Menschen, wie du sind in der Regel gut vernetzt, hör dich um. Aber lass dir Zeit.

Vielleicht ein kleiner Mutmacher. Eine mir sehr wichtige, nahestehende junge Frau,
war in einer ähnlichen Situation. Ich habe mit ihr gelitten, wenn sie von ihren Problemen erzählt hat.
Sie war dicht vor einer Depression, hat nur noch funktioniert.
Ihr Vertrag wurde (zum Glück für sie) nicht verlängert.
Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie arbeitslos. Ein Drama in ihren Augen, in Wahrheit war diese Auszeit ein Glück.
Sie hat diesen Sommer nämlich für sich genutzt. Hat sich sortiert, umgehört und vor allem Ruhe gefunden.
Durch einen Zufall hat sie eine Ausschreibung gelesen, den Job bekommen und den Sprung ins kalte Wasser gewagt.
Ein Glücksfall für sie. Sie arbeitet zwar wieder viel, ihre Arbeit wird geschätzt und das wird auch honoriert.
Es geschehen immer mal kleine Wunder.

Nimm dir eine Auszeit, notfalls mit dem „gelben Schein“.
Deine Gesundheit und Zufriedenheit sind wichtiger. Lass dich nicht kaputt machen.

Von Herzen alles Gute
Liebe Grüße
Anaba

Administratorin
anaba@1001Geschichte.de

“Am Ende wird die Wahrheit siegen, über Ängste und gut getarnte Lügen.
Am Ende wird sich alles fügen und was jetzt am Boden liegt, wird schließlich lächelnd fliegen...“

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Nilka
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Nilka » 27.05.2019, 14:24

Julija hat geschrieben:
27.05.2019, 07:33

Das führt mich wieder zum nächsten Punkt, der mich mehr als frustiert: Ich schenke wissenschaftlichen Artikeln kaum noch Glauben. Es liest sich sehr gut. Man könnte denken, dass alles sehr fundiert ist, jahrelange wissenschaftliche Arbeit dahinter stecken. Aber wenn diese Abfassungen genauso "produziert" wurden, wie von mir verlangt wird, kann ich genauso gut auch einen trivialen Roman lesen. Das ist natürlich nur eine etwas längere Momentaufnahme. Vielleicht ist es auch ganz anders und ich bin unfähig, das zu erkennen.
Es geht .ihr auch so, liebe Julia. Es ist traurig, aber man hinterfragt immer mehr und immer öfter und in allen möglichen Bereichen.
Bitte verzeiht mir für diesen Ausbruch. Das soll es auch erst mal gewesen sein. Nochmal Danke für eurer Ohr.
Es ist selbstverständlich. Deine Erfahrungen bereichern und erweitern auch unseren Horizont.
LG ♥ Nilka

Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt. Thomas Mann

Eclipse
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Eclipse » 27.05.2019, 18:29

Julija hat geschrieben:
27.05.2019, 07:33
dass ich entweder ungeeignet für den Beruf bin oder die weit schmerzhaftere Alternative, mein Berufsfeld ist für Menschen wie mich ungeeignet.
Hut ab. Es ist schmerzhaft, beim ehrlichen Nachdenken zu so einem Ergebnis zu kommen. Du hast das richtige Alter, um woanders noch mal durchzustarten. :)


Stichwort Bezness: Ich erkenne zumindest einen indirekten Zusammenhang. :wink:

Fierrabras
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Fierrabras » 18.06.2019, 09:55

"DU DOKTOR SCHREIBEN"

Das ist der Standardspruch einer türkischen Importbraut, wenn sie zu mir kommt.
Es ist nicht ganz klar, was sie nun hat. Vor 3 Jahren war sie wegen einer postpartalen Depression stationär. Danach haben sich 3 unserer Psychologen- und innen mit Einzelgesprächen um sie kümmern wollen, die jedes Mal 50 Minuten dauern sollten. Bei allen 3 ist sie entweder gar nicht oder immer so 40 Minuten zu spät gekommen. Zu mir kam sie immer so 4-6 Stunden zu spät. Da ein Arztbesuch aber nicht so lange dauert, habe ich sie immer noch irgendwie reinquetschen können, zumal sie nur ein Rezept brauchte. Die 3 Psychologen/innen haben irgendwann gesagt, dass sie ihr keine Termine mehr geben, da es zwecklos ist. Ich habe ihr das mitgeteilt.
Einige Monate später kriege ich einen wutschnaubenden Anruf einer Beratungsstelle für Migrantinnen: warum ich dieser armen Frau die psychologische Hilfe verweigere?! Ich habe versucht zu erklären, warum nicht, bin von dieser Mitarbeiterin wüst beschimpft worden.
Dann stellte ihr das Jugendamt eine türkischsprachige Familienhelferin. Da ging es dann immer darum, sie fände keine Kitaplatz für das jüngste Kind. Wenn sie den endlich hätte, dann würde sie sich ja behandeln lassen. also wieder "DU DOKTOR SCHREIBEN". ok, sie kriegte dann einen Kitaplatz, und wollte in eine Tagesklinik. Da ist sie leider nach 2 Wochen rausgeflogen, weil sie nicht hingegangen ist. Angeblich sei das Kind so oft krank gewesen (wobei eine Tagesklinik für so einen Fall Verständnis hätte, also es kann nicht gewesen sein, dass das Kind 3 Tage hintereinander mit Fieber krank war und sie deshalb nicht hatte kommen können).
Dann wollte sie wieder Psychotherapie. wieder mit DU DOKTOR SCHREIBEN. Ich habe auf stur geschaltet und ihr eine Liste gegeben, mit allen 60 türkischsprachigen Psychologen/innen in Berlin. Dort fand sie sogar einen Platz, den sie leider ebenso schnell wieder verlor, weil sie 2x unentschuldigt nicht hingegangen ist. Dann sollte sie in eine andere Tagesklinik. Da muss der Patient aber SELBST jede Woche anrufen während der Warteliste und sein kontinuierliches Interesse an der tagesklinischen Behandlung zeigen. Nun ja, tat sie nicht bwz die Familienhelferin rief an, aber das zählt nicht.
Dann wollte sie Erwerbsunfähigkeitsrente beantragen (DU DOKTOR SCHREIBEN).
Nun war Doktor aber so gemein, dass Doktor geschrieben hat, es hätte in den letzten 2 Jahren keinerlei Psychotherapie stattgefunden, weil sie ja alles unterlaufen habe. Und da Rehabilitation vor Rente geht, wurde die Rente abgelehnt und eine Reha gefordert. Nun wieder DU DOKTOR SCHREIBEN, denn sie will nur eine ambulante Reha machen, weil ihr Mann allein nicht mit den Kindern klar komme und es keine weiteren Angehörigen gibt, die helfen könnten (wer's glaubt...). Doktor weigerte sich wieder und sagte, da würde sie doch wieder nicht hingehen.
Zwischendrin kam sie, weil sie im Sommer in die Türkei verreisen möchte. also wieder DU DOKTOR SCHREIBEN. Teilweise schreibe ich für meine zuverlässigen und wirklich psychisch kranken Patienten tatsächlich so eine Empfehlung ("ein 3 wöchiger Urlaub in der Heimat des Patienten könnte aus ärztlicher Sicht genesungsfördernd für die depressive Erkrankung sein"). Hier habe ich mich aber geweigert.
Nun kam sie wieder DU DOKTOR SCHREIBEN: denn Ende Juni endet ihre Elternzeit und sie habe finanzielle Sorgen. Und sie wolle in die Türkei fahren. Und arbeiten gehen könne sie nicht. Dazu gehe es ihr zu schlecht.

Ich hätte am liebsten gebrüllt: "achso, in Deutschland muss man nicht arbeiten, kriegt man Geld vom Staat" Hat man Ihnen das vor Ihrer Heirat gesagt?" oder denken Sie "deutsche Geld gut, deutsche Leute sonst nix gut"? ICH DOKTOR NIX SCHREIBEN, NIE WIEDER, DU ARBEITEN GEHEN ODER DU IN KLINIK GEHEN REGELMÄSSIG THERAPIE MACHEN BIS DIR GEHEN BESSER DANN DU ARBEITEN" oder WARUM DU NICHT NOCH WEITERE KIND KRIEGEN DANN GIBT WIEDER GUTE DEUTSCHE GELD."

Leider kann ich so was nicht tun, wenn ich meinen Job behalten will (ich bin dabei, mich nach anderen Job umzusehen, aber in Berlin ist das nicht leicht und in die Provinz will ich nicht, da war ich schon lange genug). Also habe ich ihr boshaft gesagt, dafür seien die Sozialarbeiter zuständig, ich könne da gar nichts tun.

Nilka
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Nilka » 18.06.2019, 10:45

1001 mal zum Kotzen :twisted: :twisted: :twisted:
Kann ich gar nicht beschreiben, wie sauer ich bin!
DU DOKTOR HALTE DAS IRGENDWIE UND UNBESCHADET DURCH!
LG ♥ Nilka

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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Atin » 18.06.2019, 12:31

:x
Es ist nicht ganz klar, was sie nun hat.
Sie weiß selber nicht das sie was hat.

Manche Menschen nehmen die Hilfe nicht an da sie sprachlich unbegabt sind und nicht reflektieren können was sie benötigen und brauchen.

Drei Wörter in all den Jahren gelernt... manche Türken scheinen zu glauben Die Welt lernt Türkisch, wenn sie kommen.

Das sie keine Unterstützung seitens der Familie bekommt könnte stimmen. Zeigt auch auf das sie bei denen nicht viel zu melden hat außer zu " funktionieren " bis es nicht mehr geht. Und noch geht es ja. :|

Trotzdem... halte durch :wink: :D
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von karima66 » 18.06.2019, 12:54

Wenn es nicht so traurig wäre und belastend und unser aller Geld kosten würde dann müsste man nur noch lachen, ich konnte mir das so bildlich vorstellen und hab trotz Ärger geschmunzelt.
Da aber für dich schwer zu ertragen hoffe ich du Doktor findest bald was Anderes, bis dahin trage es mit Humor und Gelassenheit und hier rausschreiben....
Willst dich nicht selbstständig machen? Dann kannst dir deine Klienten wenigstens aussuchen, musst dir nichts von anderen Kollegen sagen lassen, selbst irgendwelche Sozialarbeiter auf der Gutmenschenschiene sind dann besser zu ertragen....

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Re: nur so interessehalber

Beitrag von gadi » 18.06.2019, 13:00

Ich glaube, du Doktor musst ihr das mit dem "weiter Kind kriegen" nicht extra sagen, das geschieht vielleicht sehr sehr bald. :(
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Fierrabras » 19.06.2019, 13:46

ach ja, die "Mutter und Kind Kur" habe ich vergessen, da sollte ich auch immer DU DOKTOR SCHREIBEN.

Vielleicht ist sie ja tatsächlich immer noch depressiv, aber das liess sich nicht rauskriegen. Wir haben ja auch türkischsprachige Psychologen, aber wenn die Gespräche nicht stattfinden, weil sie nicht kommt, dann kann auch nicht muttersprachlich eingeschätzt werden, wie schlecht es ihr tatsächlich geht.

Was mich interessiert: Wer steckte ihr bloss diese ganzen Information von wegen Mutter und Kind Kur, Elterngeld und dass das JobCenter tatsächlich 3 Wochen Urlaub in der Türkei genehmigt, dafür Doktor aber tatsächlich etwas schreiben muss? Sie war in dieser Hinsicht blendend informiert, sogar bevor sie diese Beratungsstelle entdeckte.
Wenn sie nur 3 Worte deutsch gelernt hat in diesen ganzen Jahren, wieso ist sie sonst so gut informiert?

Der Mann lebt auch von Transferleistungen, wieso ist es dann unzumutbar, dass er die Kinder versorgt damit sie maximal 8 Wochen vollstationär behandelt werden kann (diese sind so 10, 8 und 2, also wir reden hier nicht von 4 Kindern unter 6 Jahren)? Er arbeitet doch nicht (oder allenfalls nicht offiziell). Wieso werden da keine Sanktionen ausgesprochen vom JobCenter? Sondern wieso wird da hingenommen, dass eine stationäre Behandlung immer wieder von ihr abgelehnt wird mit der Begründung, die Kinder seien nicht versorgt. Die beiden Großen gehen in die Schule, die Kleine hat ja nun einen Ganztags-Kitaplatz.

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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Fierrabras » 19.06.2019, 14:32

tja, eben kam eine (deutsche) Patientin mit burn out Symptomatik zu mir (burn out ist Neusprech für Depression). naja, und wo bzw was arbeitet sie? Sie ist beim JobCenter tätig als Arbeitsvermittlerin in einem Berliner Brennpunktviertel. Und was ist ihr Hauptproblem? Sie lässt sich von ihren Kunden nicht alles bieten, sie versucht, Sanktionen zu verhängen. Da gibt es regelmäßig Ärger mit den Kollegen und der Führungsriege.

ok, damit hat sich wohl meine empörte Frage erledigt, warum es dem Ehemann/Kindsvater von Frau DU DOKTOR SCHREIBEN nicht zuzumuten ist, sich allein um die Kinder zu kümmern...

Mit meiner unmittelbaren Chefin bespreche ich solche Fälle auch nicht mehr, bzw ich erwähne diese Fälle in den Teambesprechungen einfach nicht mehr (wir sollen eigentlich "Problemfälle" dort vorstellen, damit gemeinsam eine Lösung gesucht wird). Denn danach müsste ich vermutlich ihr wieder Psychologentermine bei uns anbieten.... auf jeden Fall würde es so gedreht werden, dass es meine Schuld wäre, dass die alles unterläuft.

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Re: nur so interessehalber

Beitrag von gadi » 19.06.2019, 15:11

Mensch Fierrabras, schau langsam aber sicher nach einer anderen beruflichen Möglichkeit, sonst bist du bald selber betroffen von der Neusprech-Krankheit. :(
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Re: nur so interessehalber

Beitrag von Nilka » 19.06.2019, 15:12

:twisted: :cry: :cry: :cry: :twisted: Einfach schrecklich!
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