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von steckchen » 18.09.2011, 18:06
Hallo Meriem,
wie geht es Dir jetzt? Mir fällt zu Deiner Geschichte das Märchen von Hans Christian Andersen von der Kleinen Meerjungfrau ein. Das ist das Märchen, wo sich eine Nixe spontan in einen Prinzen verliebt, den sie vor dem Ertrinken rettete und wo die böse Hexe ihr die Stimme nahm und ihr stattdessen aus ihrem Schwanz zwei Beine schenkte, deren Gebrauch ziemlich schmerzhaft für die kleine Meerjungfrau war. Sie nahm dieses Opfer auf sich, um ihrem Geliebten nahesein zu können. Der Prinz jedoch heiratete eine andere und die Meerjungfrau blieb allein zurück, unfähig, von ihm zu lassen oder ihn zu töten und zu ihrer Familie zurückzukehren. Ich habe mal so ein Psycho-Buch gelesen, wo die Bösen Buben nach Typ gegliedert wurden und auch die Frauen in Typen eingruppiert wurden. Und einer der Frauentypen war die kleine Meerjungfrau, die sich bis zur Unkenntlichkeit anpaßt, um dann doch feststellen zu müssen, daß ihr Prinz gar nicht mehr an sie denkt, eine andere heiraten wird und während die kleine Meerjungfrau ihrer Sprache beraubt ist, wird die realexistierende Frau mundtot gemacht, bekommt Denkverbote, Regeln aufgezwängt und kann sich also auch nicht mehr mitteilen. Klassischer Fall ist die Geliebte, die neben der Ehefrau gehalten wird. All diese Märchen haben tiefe psychologische Hintergründe und Botschaften, die es zu entschlüsseln gilt. Die kleine Meerjungfrau bekam von ihrer Familie aus dem Meer wiederholt Botschaften, den Prinzen zu töten, um wieder die alte Nixe von früher zu werden, die fröhlich mit den Ihrigen im Meer schwimmt. Allein, die Meerjungfrau brachte es nicht übers Herz, den Prinzen zu töten und wurde nach Ablauf der Frist, die ihr von ihrer Familie gestellt worden war, in eine Meereswelle verwandelt, die irgendwo verging.
Und genauso ist es bei Dir, Meriem. Auch Du hast nur eine gewisse Frist, einen Zeitraum, der Dir bleibt, um Dich aus seinen Fesseln zu befreien und zu Dir selbst zurückzufinden, im Gegensatz zur kleinen Meerjungfrau hast Du auch Kinder, um die Du Dich kümmern mußt. Das tust Du ja auch. Aber das Warten auf ein Wunder, die Lethargie, in die Du verfallen bist, werden Dir nach und nach immer mehr Kräfte rauben, so daß Du irgendwann auch Gefahr läufst, wie die kleine Meerjungfrau in einer Meereswelle zu vergehen, also an Deinem Schwebezustand zugrunde zu gehen, wie auch immer. Eigentlich ist das Märchen von der kleinen Meerjungfrau eine Parabel auf bi-nationale Beziehungen, denn beide Partner sind zu unterschiedlich, um wirklich zueinander zu finden. Und im Gegensatz zu Dir hat Dein Mann das wohl auch niemals wirklich gewollt, während der Prinz im Märchen das Opfer einer Intrige wurde, die seine Familie gesponnen hatte. Auch eine Vorstellung, die Frau gerne glauben möchte, aber selbst, wenn es in Deinem Fall so wäre: Was brauchst Du einen Mann, der lediglich als Marionette seiner Familie funktioniert?
Du sollst ihn ja nicht töten, aber aus Deinem Leben verbannen, genau das meint das Märchen. Aber es ist ja nicht nur er, es sind die ganzen islamischen Regeln, diese Denke, die er Dir aufgepfropft hat. Und eine dieser Regeln besagt auch, daß Du als Muslima keinen Nichtmuslim heiraten darfst. Aber der Kreis der Muslime, die eine Frau mit mehreren Kindern von einem anderen Mann akzeptiert, ist ziemlich überschaubar. Noch so eine Mauer, die er um Dich errichtet hat. Genau das macht die Trennung so schwierig für Dich. Weil es eben nicht nur ein Mann, sondern ein ganzes System ist, welches Dich jetzt einengt, Deiner Energie beraubt und im Status quo verharren läßt. Das mit "Geduldhaben" zu beschönigen, wird Dir nichts nützen, da hat Morena durchaus recht. Kannst Du denn im Augenblick Hilfe von Deiner Familie erwarten, so Du denn fragen würdest?
LG
steckchen
Die Liebe vernachlässigt diejenigen am meisten, die ihrer am meisten bedürfen.
(Madame de Rosemonde im Film: Gefährliche Liebschaften (Regie: Stephen Frears) 1988