Frei hat geschrieben:Biene, die Frage ist: was suchst du wirklich dort? Ich glaube nicht, dass es einfach mit der Sonne zu tun hat. Suchst du eine Antwort, zu was dir passiert ist (oder zu anderen Frauen passiert ist)? In meiner Sprache sagt man "die Zunge immer wieder da ist, wo der Zahn schmerzt", das heisst: wir immer dort gehen, wo etwas gibt, das nicht ausgelöst ist. Aber in Arabisch gibt es etwas besser (das ist gelernt habe): "wenn es ein Knoten gibt, muss man ihn nicht zu ziehen wieder gehen, aber man muss ihn schneiden". Das heisst: "du musst nicht mehr dort gehen". Könntest du etwas solches machen? Warum ja, warum nicht? ...
Hallo Frei,
das waren tolle Worte von Dir. In der Tat gibt es mehrere Methoden, ein Trauma zu überwinden. Es aufzuarbeiten, Genugtuung zu erlangen, indem der Täter bestraft oder sonstwie gedemütigt wird oder einfach wegzuschließen wie einem strahlenden Atomreaktor, der einfach zubetoniert wird, weil eine andere Entsorgung nicht mehr möglich ist.
Nun zu Deiner Frage, was Biene in Tunesien sucht:
Ich hab mir nochmal Gedanken darüber gemacht, wieso hier einige wieder nach Tunesien oder andere Bezness-Länder fahren, obgleich sie dort schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht haben. Und mir ist noch was eingefallen. Es nennt sich in der Psychologie wiederaufholende Entwicklung und ist ein Versuch, die Chance wahrzunehmen, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und dadurch Genugtuung zu erreichen. Jeder von uns hat sich nach einem Schlamassel doch schon mal gefragt, wie er gehandelt hätte, hätte er dies oder das vorher gewusst. Die Geschichte wäre anders verlaufen. Die meisten von uns jedoch ergreifen oder bekommen keine zweite Chance, sei es, weil sich ihr Leben komplett verändert hat, teils aus Angst, noch einmal zu versagen.
Erinnert sich jemand noch an das Halbfinale der Europameisterschaft Türkei gegen Deutschland am 25. Juni dieses Jahres, welches Philipp Lahm in der 90. Minute zu Deutschlands Gunsten entschied? Dem ging ein dramatisches Spiel voraus. Derselbe Siegschütze Philipp Lahm hatte sich nämlich in der 52. Minute vom kleinen Türken Semih ausdribbeln lassen und so wurde der Ausgleich der Türken zum 2:2 möglich. Um dieses Versagen zu kompensieren, entwickelte Lahm Löwenkräfte und ließ sich in der 90. Minute eben nicht ausdribbeln und schaffte die Entscheidung zu Deutschlands Sieg – das 3:2. Wir standen im Finale. Lahm hatte seinen vorigen Fehler ausgemerzt und seine Schuld mehr als getilgt.
Als ich mich von meinem Freund getrennt hatte, traf ich mich trotzdem sporadisch mit ihm, teils aus Hoffnung auf Neubeginn, teils aus Neugierde, was da wohl passieren würde. Er spielte immer dasselbe Spiel: Ruf sie unverbindlich an und laß SIE fragen, wann wir uns treffen. Und ich bin jedes Mal drauf reingefallen und habe ihn um ein Treffen gebeten und war hinterher frustriert, wenn er sich nach dem Treffen monatelang nicht meldete. Er hatte wieder einmal gewonnen. Eines Tages aber war es anders. M. rief mich spätabends von Düsseldorf aus an und fragte mich aus, fragte dies und das und ich merkte während dieser Stunde Telefonieren, dass er sich krampfhaft immer neue Themen aus dem Ärmel sog, um mich an der Strippe zu halten. So kannte ich ihn gar nicht. Und da war es mir schlagartig klar, M. wollte auch diesmal um jeden Preis gewinnen und wartete auf meine Frage nach einem Treffen. Ich verfuhr nach Jezebels Motto: „Lassen Sie ihn stottern“. Er wurde immer unsicherer und genervter. Als eine Stunde vergangen war, meinte ich schließlich, es sei nett, dass er sich gemeldet habe, ich sei jetzt aber wirklich müde aber wir könnten das Gespräch gerne ein andermal fortsetzen. Dann sagte ich ihm Gute Nacht. Ich sage Euch, ich habe noch nie so gut geschlafen wie in dieser Nacht. Er rief nie wieder an. Ich dachte nie wieder an ihn, zumindest nicht in Sehnsucht. Kurz – Ich hatte diesmal gewonnen.
Ich glaube, dass die meisten der Frauen, die nach einem Bezness-Reinfall wieder nach Tunesien fahren, so eine Kompensation suchen. Ich glaube gar nicht, dass Sima, Biene oder Tessa noch emotional an "ihrem" Bezzi hängen. Die wenigsten Frauen haben wohl wirklich Lust, dem Beznesser von damals gegenüberzustehen. Aber sie wollen in einer vergleichbaren Situation besser und vernünftiger handeln, die Kontrolle haben und alles besser machen. Das ist eigentlich die beste Methode, ein Trauma seelisch zu verarbeiten und abzuschließen. Und dann müssen sie auch nicht mehr nach Tunesien fahren, sondern sind frei für andere Gebiete dieser Erde. Wenn das nicht möglich ist, bleibt nur ein radikales Knotendurchschneiden; also nie mehr hinfahren.
Einen lieben Gruß vom Steckchen
Die Liebe vernachlässigt diejenigen am meisten, die ihrer am meisten bedürfen.
(Madame de Rosemonde im Film: Gefährliche Liebschaften (Regie: Stephen Frears) 1988