Beitrag
von Phoenix » 07.01.2011, 12:36
Hallo
Vorab - ich kann verstehen, dass sich Tatiana über Beiträge von Moppel und von Heidi aufregt - solche Beiträge sind nun wirklich nicht konstruktiv. Ich habe hingegen nicht den Eindruck, dass Tatiana Elisa oder Bigi angreift. Ich selber kann mit solch krassen Beiträgen nichts anfangen - wähle aber den Weg, mich davon nicht provozieren zu lassen, ignoriere sie. Kann aber auch nachvollziehen, dass das nicht für alle möglich ist.
Liebe Anaba
Tatiana hat Dir eine Frage gestellt, weil Du auch mit einem muslimischen Mann verheiratet ist. Diese Frage, wie ihr denn das lebt, habe ich mir auch schon oft gestellt. Du bist hier in diesem Forum eigentlich mehrheitlich der Ansicht, dass ein Zusammenleben von Muslimen und Christen nicht geht. Wie handhabt ihr denn das? Oder ist es Deine persönliche Erfahrung, dass es eben letztlich (aus Deiner Sicht) nicht geht?
Grundsätzlich bin ich auch der Meinung, dass es mehr als schwierig wird, wenn Kinder in einem frommen Haushalt aufwachsen. Sie haben dann keine Möglichkeit, frei zu wählen. Ich persönlich finde es auch problematisch, wenn in einer Familie gewisse religiöse Vorgaben Gültigkeit haben - denn dann ist ein Kind nie frei, sondern erlebt die Religion teilweise als Druck. Meine persönliche Meinung.
Meine persönliche Meinung ist auch die, dass ein Kind bzw. Mensch durchaus religiöse oder spirituelle Geborgenheit leben kann, ohne dass deshalb einer bestimmten Religion gefolgt werden muss. Meine Mutter war Katholikin, mein Vater reformiert. Eine Eheschliessung aus katholischer Sicht war damals nicht möglich. Meine Mutter ist damals konvertiert und noch heute in der der reformierten Kirche - weil das für sie so stimmt. Mein Vater ist in der Zwischenzeit ausgetreten. Ich selbst auch - aber ich lehne weder die reformierte Kirche ab, noch spüre ich das Bedürfnis, mich in ein anderes religiöses korsett zu zwängen, noch bin ich Atheistin. Ich glaube an Gott - und das ist für mich erheblich. Für mich persönlich nicht erheblich ist, ob Jesus der Messias war oder Gottes Sohn oder ob noch ein Messias kommt. Ich kann persönlich überhaupt nichts anfangen mit der katholischen Kirche und dem katholischen Glauben - das ist mir total fremd. Aber, ich kann das tolerieren - auch wenn ich eine mehr als unschöne Erfahrung in einem Zwangs-Haushalts-Aufenthalt in einem katholischen Kloster gemacht habe (schulisches Obligatorium) und wie viele andere, die ähnlich dachten wie ich, fast durchgedreht bin wegen der dort mehrheitlich gelebten Intoleranz und dem religiösen Fanatismus.Die Situation ist damals fast eskaliert, da war extrem viel Wut unserseits - wir gingen jeden Tag joggen, um nicht gewalttätig gegenüber denjenigen zu werden, die uns frühmorgens mit ihren Liedern weckten, uns vor dem Frühstück missionierten etc. Aber - da war auch eine Nonne, katholisch, gläubig - aber ganz offensichtlich aus tiefstem Herzen heraus. Die haben wir alle richtig geliebt - und sie hat uns nicht missioniert. Mein persönliches Fazit? Soweit Glaube ein innerliches Phänomen ist und niemand missioniert wird, ist ein Zusammenleben und -wirken möglich. Intoleranz und Missionieren hingegen verursachen Widerstand, Wut, Hass und Streit.
Ich denke, es funktioniert dann in einer Ehe, bei welcher Eltern unterschiedliche religiöse Ansichten haben, wenn beide (!) aus dem Herzen heraus glauben, nicht eine vordergründige Frömmigkeit leben, wenn nicht Riten und Rituale Sinn bzw. Ausdruck der Religion sind, sondern ein damit verbundener innerer Weg. Und da bin ich mir sicher, dass das für Muslime eben so möglich ist für Christen. Wenn jemand mehr oder weniger "strenggläubig" lebt, dann ist eine Ehe mit einem völlig anderen religiösen Hintergrund wohl eher schwierig - ich persönlich könnte weder eine Ehe leben mit einem "strenggläubigen" Muslim noch mit einem "strenggläubigen" Katholiken, der seinen Weg eben v.a. äusserlich lebt, auf andere übertragen will statt innerlich. In einem solchen Fall wird es so sein, dass unterschiedliche religiöse Ansichten inkompatibel sind oder dass ein Ehegatte den Glauben des anders annimmt. Wie das bei meinen Eltern der Fall gewesen ist, weil die Zeiten damals noch anders waren und eine gemischte Ehe nicht möglich. Meiner Mutter fiel das leichter, mein Vater hätte niemals den katholischen Glauben angenommen. Und ich persönlich bin noch einen Schritt weiter gegangen, ich fühle weder eine Verbindung zu der einen oder anderen Religion, weiss, dass die christliche Religion Europa geprägt hat, nehme an, was für mich stimmt, lasse bleiben, was nicht stimmt, fühle mich durchaus religiös-spirituell geborgen und aufgehoben. Und - ich treffe sehr viele Menschen, die genau so leben und denken wie ich. Christen, Muslime. Eine meiner Freundinnen ist auch in einer solche gemischt muslimisch-christlichen Ehe - das ergibt überhaupt keine Probleme. Die Tochter besucht den Schwimmunterricht und betreibt Kampfsport - übrigens jeweils begleitet durch den ebenfalls kampfsportbegeisterten Vater. Aber - beide Eltern sehen die Religion relativ gelassen, sind gläubig, aber nicht fromm, leben Religiosität innerlich und nicht äusserlich, missionieren nicht. Sogar die Beschneidung war mal Thema - die Mutter hätte damit leben können. Und - es hat keine Beschneidung stattgefunden. Mein persönliches Fazit? Soweit Ehegatten nicht strenggläubig sind und von den andern erwarten, den gleichen Weg zu gehen, dann sind unterschiedliche religiöse Hintergründe kein Problem und bringen Kinder aus einer solchen Ehe auch nicht in eine schwierige Situation.
Immer wieder stelle ich fest, dass die Wahrnehmung in Deutschland offenbar eine andere ist als in der Schweiz. Das mag damit zusammen hängen, dass eine Mehrheit der in Deutschland eingewanderten Muslime türkischer Abstammung sind - und wohl davon mehrheitlich eher vom Land stammend als aus urbanen Verhältnissen. In der Schweiz ist die Mehrheit der Muslime albanischer Abstammung - offenbar ist es da anders, weniger strenggläubig, weniger fromm. Ich verstehe oft die Beiträge im Forum nicht - aber es mag sein, dass es für einige der Userinnen hier eine andere Realität ist, in der sie leben, eine solche, in der sie damit konfrontiert sind, mit vielen türkisch-stämmigen Muslimen zusammen zu leben, dass eine Ghettoisierung stattfindet und die Realitäten wirklich so sind, auch so, dass in Kindergärten kein Schweinefleisch angeboten wird. In der CH gibt es das nicht. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Problem v.a. dann auftauchen, wenn eine Ghettoisierung stattfindet, die dann wiederum dem Einzelnen weniger Möglichkeiten gibt, einen eigenständigen Weg zu gehen, weil er praktisch in einer lokal als Mehrheit erscheinenden Minderheit lebt. Mein persönliches Fazit? Wo fehlendes Aufeinanderzugehen (beidseits!) da ist, da findet Ausgrenzen statt, da bilden sich Ghettos, da wird ein Zusammenleben schwierig.
Wir haben in Zürich ein Quartier, in welchem beispielsweise Kebabs "halal" angeboten werden, da gibt es keine Alternative - aber nicht etwas deshalb, weil es ein mulimisches, sondern ein orthodox-jüdisches Quartier ist und damit die Nachfrage von dieser Seite her kommt. Das Quartier besteht schon lange - und es mag etwas eigentümlich sein, die hohen Hüte und Bärte mit Locken zu sehen, Kinder in Anzügen, Frauen mit Perücken. Aber - irgendwie funktioniert das Zusammenleben, auch wenn klar ist, dass damit das Zusammenleben in der Oeffentlichkeit gemeint ist; auch hier wäre ein engeres Zusammenleben im privaten Bereich oder als Familie ausgeschlossen.
Um nochmals auf die eingangs erwähnten Beiträge zurück zu kommen: Wo radikale, ausgrenzende, andere abwertende Muslime auf ebenso radikale, abwertende Christen oder andere treffen, sind Konflikte unvermeidbar. Wo jemand schreibt, wie Heidi es tut, ruft so in den Wald, dass jemand wie Tatiana fast unweigerlich auch so zurück ruft. Auf diese Weise werden wir es tatsächlich niemals schaffen, in Frieden miteinander zu leben.
Phoenix
Niemand kann euch etwas zeigen, was euch nicht schon nahezu klar geworden ist.
(Khalil Gibran)