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von Fierrabras » 09.04.2019, 15:45
habe gerade mir einen Arztbrief von 2014 einer meiner Patientinnen mit Migrationshintergrund angesehen, und entnervt festgestellt, dass ich wortwörtlich den Text übernehmen könnte, will sagen, in 5 Jahren Therapie hat sich gar nichts getan, sie kriegt aber seit 5 jahren regelmäßige psychologische Einzelgespräche in der Muttersprache, die jeweils 50 Minuten dauern.
ok, psychische Krankheiten sind chronisch, und wenn sie eine Schizophrenie hätte, dann wäre das auch völlig normal. Hat sie aber nicht: sie ist unglücklich, weil sie gleich 2 erwachsene (Mitte 30) alkohol-drogen- und spielsüchtige Söhne hat, die beide bei ihr wohnen und denen sie immer Geld gibt. Per se hat sie eine Ko-Abhängigkeit, sie müsste also dringend zu AlAnon Gruppen (gibt es auch auf anderen Sprachen). Da kommt sie mit den blödesten Ausreden so ala "der Hamster hat den Zettel mit der Adresse der Selbsthilfegruppe aufgeknabbert". Nun habe ich entdeckt, dass bereits vor 5 Jahren mein Vorgänger ebenfalls versucht hat, sie zu genau solchen Gruppe zu schicken- vergeblich.
Ich wollte heute im Plenum die Sinnhaftigkeit einer Weiterbehandlung wie bisher besprechen, will sagen, bei den Psychologengesprächen heult sie unverändert 50 Minuten darüber, dass die Söhne nicht verheiratet und stattdessen süchtig sind. Ihr wird dann gesagt, sie solle aufhören, den Söhnen Geld zu geben, weil sie damit den Teufelskreis aufrecht erhält bzw sie solle die Söhne aus ihrer Wohnung rausschmeissen bzw wenigstens die Polizei holen, wenn diese sie wieder mal bedrohen, weil sie nicht genügend Geld rausrückt (das Schloss auszutauschen wäre bereits völlig undenkbar, kann man ihr auch nicht vorschlagen)... Seit 5 Jahren will sie dies tun und tut es nicht.
Mein Vorschlag war, die Fortsetzung der Psychologengespräche an den Besuch einer Selbsthilfegruppe zu knüpfen (wobei sich eine normale Angehörigengruppe wöchentlich trifft, hier ist es nur alle 3 Wochen).
tja, wie soll ich sagen: ich bin kulturunsensibel, so wurde mir von dem restlichen Personal attestiert. "Bei denen" ist es nun mal anders als bei uns, da kann man nichts fordern. Es soll so weitergehen wie bisher. Sie leide doch so sehr.
Es ist auch völlig egal, dass viele andere Patienten keine Psychologengespräche oder nur in der Gruppe kriegen, weil unser Angebot nicht für alle Patienten reicht.
nun ja, in weiteren 5 Jahren werde ich den Fall erneut vorstellen...vielleicht wird mir nach 10 Jahren vergeblicher Einzel-Psychotherapie erlaubt, auch mal etwas von Patienten mit Migrationshintergrund zu fordern (was bei deutschen Patienten völlig normal ist).