Die prä-revolutionäre Herrschaft Angela Merkels
Eine prä-revolutionäre Regierung hingegen ist eine staatliche Herrschaft, die ihre Legitimitätsbasis verlassen hat, aber im Gegensatz zur revolutionären Regierung nicht zum offenen Totalitarismus übergegangen ist. Ihre Projekte sind zwar megaloman und zum Scheitern verurteilt, führen aber nicht zu Massenvernichtung wie die Projekte der echten Revolutionäre. Genau in diesem Stadium befindet sich unsere Regierung.
Die Trägheit der Massen in der Post-Demokratie
Viele Kritiker unserer prä-revolutionären Regierung (manche nennen das Phänomen auch Post-Demokratie) fragen sich, warum die Opposition nicht schneller an die Macht kommt, wenn die Legitimität ja offensichtlich Tag für Tag abnimmt. Doch das ist gut erklärbar.
Wenn sich einmal ein Legitimitätsprinzip etabliert hat, mit dem die Massen gut leben können, richten sich die Menschen darauf ein. Denn die Mehrheit möchte gern im Einklang mit dem Herrschaftssystem leben, unter dem sie sich befindet. Durch die Akzeptanz von Autorität erfährt der Mensch Anerkennung – Heinrich Popitz nennt das autoritative Macht.
Es ist angenehm, in einem Herrschaftssystem zu leben, das man akzeptieren kann – nur so ist ein angstarmes Leben möglich, die Angstquellen sind dann rein privat, der Staat macht einem keine Angst. Die Akzeptanz legitimer Herrschaft wird in allen Institutionen gepflegt und tradiert – in Familien, Kindergärten, Schulen, Jungendzentren, Kirchen, Universitäten, in den Ämtern und Behörden und am Arbeitsplatz. So war es auch in den Zeiten legitimer monarchischer Herrschaft, wie beispielsweise im deutschen Kaiserreich ab 1871. Für uns alle war es ein Segen, dass seit den 1950er Jahren in Westeuropa eine stabile Phase demokratischer Legitimität begann. Nun war es – anders als unter der revolutionären Diktatur Hitlers – wieder möglich, sich der Herrschaft guten Gewissens zu beugen und sein Leben in Ruhe zu führen.
Nur ungern möchten wir uns eingestehen, dass die Legitimität heute schwindet und wir wieder Angst vor dem Staat haben müssen, gerne möchten wir an der Illusion eines segensreichen, legitimen Staates festhalten. Dies erklärt, warum die Menschen in Westdeutschland nur zu einem geringen Teil in die Opposition zur Regierung gehen. Sie haben alle den größten Teil ihres Lebens in einer legitimen Demokratie gelebt und tun sich schwer damit, sich klar zu machen, wie schlimm die Lage bereits ist – zumal viele noch auf einem guten Wohlstandsniveau leben. Die Ostdeutschen hingegen haben das Leben im illegitimen, revolutionären Staat noch im kollektiven Kurzzeitgedächtnis – 30 Jahre sind noch in dessen Intervall, es hält etwa zwei Generationen. Ihr Sinn für illegitimes, prä-revolutionäres staatliches Handeln und die Gefährdung des eigenen Lebens im revolutionären Staat ist aus leidvoller Erfahrung gut ausgebildet. Daher spüren sie ganz genau, dass wir in einem prä-revolutionären Staat mit großem Legitimitätsdefizit leben, und sie beginnen sich zu wehren.
Wie kommen wir da raus?
Wie kann eine prä-revolutionäre Herrschaft beendet werden? Entweder, indem sie in eine revolutionäre Unordnung übergeht oder den Weg zurück in die legitime Ordnung findet.
Derzeit sind die Chancen noch gut, dass wir zur legitimen Ordnung zurückkehren, indem die Wähler an der Urne für Parteien stimmen, die versprechen, die legitime Ordnung zu restaurieren. Die Restauration in Frankreich ab 1814 ist dafür ein ganz gutes Beispiel. Denn Frankreich war 1814 zur demokratischen Legitimität noch nicht bereit, die Rückkehr zur modifizierten monarchischen Legitimität verschaffte dem Land nach 25 Jahren Revolutionschaos und ständigem Leben in Angst und Krieg endlich Ruhe. Allerdings lag die Überwindung des monarchischen Legitimitätsparadigmas in der Luft und erfolgte dann schließlich auch 1870 – während wir heute keine Alternative zur nationalstaatlich-demokratischen Legitimität haben, auf die wir hinarbeiten können. Deren Restauration ist also der einzig mögliche Weg zur Wiederherstellung von Legitimität.
Die schlechtere Alternative wäre der Übergang zu einer wahrhaft revolutionären Regierung, wie sich dies Teile der Grünen, die SED-Nachfolger und wohl auch die in weiten Teilen ihrer sozialdemokratischen Werte beraubte SPD zu wünschen scheinen. Doch wird dies nur mit viel Gewalt möglich sein, denn wenn es zur Wirtschaftskrise kommt und die Westdeutschen ihren Scheinwohlstand verlieren, werden auch sie Parteien wählen, die eine Restauration des demokratischen Nationalstaats versprechen.
In vielen europäischen Staaten hat dieser Prozess schon begonnen. In Dänemark beispielsweise haben dies inzwischen auch traditionelle Parteien wie die Sozialdemokraten erkannt und gewinnen wieder Wahlen, indem sie für die Verteidigung des souveränen demokratischen Rechtsstaats und die Grenzen der Solidargemeinschaft zur Bewahrung des Sozialstaats eintreten. Nur wir Deutschen marschieren prä-revolutionär weiter auf dem pseudoliberalen, post-demokratischen und post-nationalstaatlichen Irrweg, als wären wir ideologieabhängig.
https://www.achgut.com/artikel/die_prae ... la_merkels